wacholderhof

Maria Weltzel hat mich für den Wochenendteil der Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten auf dem schönen Wacholder-Hof bei Murrhardt interviewt.


Melanie Lang ist eine der wenigen unter 30 Jahren, die für den Bundestag kandidieren. Die Frau aus Backnang will sich dafür starkmachen, dass die junge Generation eine Zukunft hat – und ihre Altersgenossen motivieren, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. Dazu nutzt sie alte und neue Mittel.

Ihre größten Konkurrenten hat Melanie Lang schon seit ihrer Kindheit im Blick: Als die örtlichen Kandidaten von CDU und SPD vor der Bundestagswahl 1998 aufeinandertrafen, drängte die damals Neunjährige ihre Eltern, mit ihr zu der Veranstaltung zu gehen. Jetzt sitzt sie selbst mit den beiden zu Staatssekretären aufgestiegenen Abgeordneten und anderen Bewerbern aus dem Wahlkreis Backnang – Schwäbisch Gmünd auf Podien und versucht, die Gäste davon zu überzeugen, am 24. September ihr, einer Newcomerin, die Stimme zu geben.

Viel habe sie bei ihrer ersten Begegnung mit der Politik nicht verstanden, erzählt die 28 Jährige in einer Wahlkampfpause. Aber das Interesse am Mitreden und Mitgestalten war geweckt. Sie begann, Leserbriefe zu schreiben, Jahre später schickte sie diese auch ab. Irgendwann machte sie ein Praktikum beim SPD-Abgeordneten ihres Kreises in Berlin, entschied sich danach aber für die Grünen, weil sie dort ihre wichtigsten Anliegen – Umwelt und soziale Gerechtigkeit – besser vertreten sah.

„Zukunft wird mit mir gemacht“ hat Lang als Slogan für ihre Wahlplakate gewählt. Die Wahl müsste für die Grünen schon unerwartet gut ausgehen, damit sie den Sprung in den Bundestag von Listenplatz 21 aus schafft – in der zu Ende gehenden Legislaturperiode saßen zehn Grüne aus dem Südwesten in Berlin. Diese Unsicherheit ficht die junge Kandidatin nicht an. Wenn es nicht klappt, wird sie ihr Lehramtsstudium beenden und ihr Referendariat machen – für die Fächer Politik, Wirtschaft und Philosophie/ Ethik. Auch im Gemeinderat, in den sie 2014 gewählt wurde, wartet Arbeit. Zu ihren Erfolgen zählt sie, dass die Jugendvertreter nun online gewählt werden können. Dadurch habe sich die Wahlbeteiligung vervierfacht. Als Nächstes will sie sich für einen Jugendgemeinderat starkmachen, der noch mehr mitbestimmen kann.

Wer anstrebt, dass junge Menschen sich für die Gesellschaft interessieren und engagieren, muss ihnen dazu mehr Gelegenheit geben, sagt sie, auch in der Schule. Gemeinschaftskundeunterricht dürfe sich nicht darin erschöpfen, Jugendlichen abstrakte Politiksysteme zu vermitteln. „Schüler müssen erleben, dass sie etwas bewegen können, zum Beispiel, wenn sie Leserbriefe schreiben oder mit Abgeordneten diskutieren.“

Etwa die Hälfte der Jugendlichen kommt über die Schule mit Politik in Berührung, ein Drittel über Nachrichten-Apps und soziale Netzwerke. Das hat kürzlich eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Yougov ergeben. Dabei spielen Youtube, Facebook und Instagram die größte Rolle. Auch Melanie Lang ist dort mit Videos und Bildern zu finden. „Mit den sozialen Netzwerken ließe sich noch viel mehr machen, wenn mir jemand den Rücken freihielte“, räumt sie ein. Ehrenamtliche unterstützen sie bei Plakataktionen oder am Infotisch, aber viel bleibe an ihr hängen. Daher konzentriert sie sich auf Facebook, twittert ab und zu, verschickt Fotos.

Die meiste Zeit verwendet sie für direkte Begegnungen. Vor den Sommerferien war sie mehrmals an Schulen. Nun stellt sie sich auf Marktplätze, debattiert mit Passanten oder steckt Vorbeieilenden einen Pospekt zu. Sie lädt zu Diskussionen ein und besucht Veranstaltungen, um sich bekannt zu machen.

Bei den Gesprächen bleibt kein Thema ausgespart: Flüchtlinge, innere Sicherheit und Außenpolitik, Umwelt und Naturschutz, Bildung, Europa – und Fahrverbote. Mobilität ist für sie ein zentrales Thema. Da müsse viel mehr getan werden, sagt Lang. Von mangelnden Angeboten auf dem Land kann sie ein Lied singen. Die Uni in Stuttgart erreicht sie gut mit der Bahn, für ihren Wahlkreis hingegen ist sie auf ein Auto angewiesen, etwa um zum Wacholderhof in Murrhardt zu kommen.

Dorthin haben die Grünen Interessierte eingeladen. Die Kandidatin lässt sich den Ökohof zeigen, der so alt ist wie ihre Partei und ebenso ums Überleben kämpft wie einst der konventionell bewirtschaftete Hof, auf dem sie aufgewachsen ist. Singvögel seien kaum noch zu hören, die Wildbienen würden weniger, klagt Hofgründer Bertold Burkhardt. Die für das Insektensterben verantwortlichen Unkrautvernichter müssten verboten werden, mahnt ein Besucher.

Zuhören fällt Lang nicht schwer, sie saugt alles auf. Sie spricht unbefangen vor Gruppen und packt gern selbst mit an. Manches habe sie in der Schule und an der Uni gelernt, vieles in Oberschöntal, wo sie aufgewachsen ist. Weil es in dem Weiler, der zu Backnang gehört, nur Fußballverein und freiwillige Feuerwehr gab, schloss sie sich Letzterer an. Sie arbeitete in Waldheimen und spielte Keyboard in der kirchlichen Jugendband.

Doch sie kennt nicht nur die kleine Welt. Nach dem Abitur am Technischem Gymnasium zog es sie in die Ferne. In Neuseeland jobbte sie auf Farmen und klopfte zwischendurch in ihrer alten Heimat Nachtschichten, um sich das Geld für ein Bachelor-Studium am anderen Ende der Welt zu verdienen, auf das sie nun aufbaut. Sie arbeitete als Webdesignerin bei einem Internetmagazin, inzwischen ist sie selbstständig.

In den nächsten zwei Wochen hat der Wahlkampf Vorrang. Besonders freut sie sich auf ihre Party für Erst- und Jungwähler in Backnang. Vielleicht mache ihnen die ja Lust, sich auch zu engagieren.

Auszug aus dem Artikel

Ganzen Artikel nachlesen (Stuttgarter Zeitung / Stuttgarter Nachrichten vom 8.9.2017).